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Edelsteine aus dem Reaktor Wie ein Physiker aus Augsburg die Diamantenwelt erschüttert

Einem bayerischen Forscher ist es gelungen, den größten Diamanten der Welt zu züchten - eine Sache von Tagen. Werden Edelsteine jetzt zur Massenware?
Labordiamant-Entwickler Schreck: "Dieser herrliche Blauton"

Labordiamant-Entwickler Schreck: "Dieser herrliche Blauton"

Foto: Florian Generotzky / DER SPIEGEL

Ein Diamant steht für die Ewigkeit. Manche sind drei bis vier Milliarden Jahre alt, was der Ewigkeit schon recht nahekommt.

Das Exemplar, das der Augsburger Wissenschaftler Matthias Schreck in der Hand hält, ist in vier bis fünf Tagen entstanden. Und, als wäre dies nicht wundersam genug, hat es mit 9,2 Zentimetern fast den Durchmesser eines Bierdeckels. Kein anderer Diamant auf der Welt habe solche Ausmaße, sagt der Forscher: "Da sind wir zurzeit unschlagbar."

Seit mehr als einem Vierteljahrhundert tüftelt Schreck daran, Diamanten im Labor keimen zu lassen, wie er es nennt. Der grauhaarige Physiker, geboren 1961, gehört zur Spezies Wissenschaftler, die, statt eine Professur anzustreben, lieber im akademischen Mittelbau geblieben sind, um sich im stillen Kämmerlein ihrem Spezialgebiet zu widmen.

Schreck bekam die Freiheit, und er nutzte sie. Ihm und seinen Kollegen ist in diesem Jahr der Durchbruch gelungen.

Er legt den Riesendiamanten zurück in die Schatulle, der Edelstein ist unbehandelt, schimmert mattsilbern und hat die Form einer Scheibe. Daneben platziert der Physiker ein funkelndes Gegenstück, deutlich kleiner, es ist eine Nachbildung des Cullinan I, eines Diamanten aus dem Zepter der Queen.

Viele Jahre lang habe das Imitat in seiner Schreibtischschublade gelegen, bis zum Tag X, sagt Schreck, dem Tag, an dem er einen Kristall vorlegen konnte, der den legendären Stein zwar nicht an Gewicht, aber an Größe übertrifft, einen echten Giganten. Aber darf man ihn überhaupt "echt" nennen? Und von einem "Diamanten" sprechen?

"Der ist genauso Diamant wie einer aus der Natur", sagt der Wissenschaftler. Wie zum Beweis greift er sich ein Gittermodell aus dem Regal. Es zeigt Kohlenstoffatome, die in perfekter dreidimensionaler Symmetrie miteinander verbunden sind. Sein Kristall, versichert Schreck, weise dieselbe charakteristische Struktur auf, die einen Diamanten so besonders macht.

Kein anderer Stoff ist härter, keiner kann besser Wärme leiten, keiner bricht das Licht so feurig, wenn man ihn schleift und poliert. Was hier künstlich geschaffen worden ist, hat das Potenzial, einen Menschheitstraum zu erfüllen - und einen Mythos zu zerstören. Der Augsburger Keimling lässt ein unwahrscheinliches Szenario vorstellbar werden: Diamanten werden irgendwann zur Massenware, kaum teurer als Strass-Schmuck.

Es herrscht Unruhe auf dem internationalen Diamantmarkt, nicht erst seit dem bayerischen Coup. Seit Generationen suchen Wissenschaftler nach Wegen, Diamanten künstlich herzustellen. In den Fünfzigerjahren gelang Forschern in den USA und Schweden erstmals das Kunststück. Sie ahmten die Bedingungen nach, die im Erdmantel herrschen, und setzten Grafit massivem Druck und extremer Temperatur aus: mehr als 1500 Grad Celsius bei bis zu 60.000 Bar. Der Aufwand war enorm, die Produktion sehr teuer.

Seitdem wetteifern Forscher weltweit darum, günstigere Verfahren zu entwickeln, einige experimentieren mit der sogenannten Gasphasenabscheidung. Dabei wird in einer Vakuumkammer, einer glänzenden Kiste aus Edelstahl, ein Teilchengemisch aus Methan und Wasserstoff elektromagnetischen Wellen ausgesetzt. Aus dieser heißen Suppe tropft gleichsam der Kohlenstoff auf ein Substrat herab. Schicht für Schicht wächst innerhalb von Tagen darauf ein Diamant heran.

Ganz ähnlich läuft der chemische Prozess im Augsburger Labor ab. "Das ist alles selbst gestrickt", sagt Physiker Schreck mit Blick auf die Leitungen, aus denen die Gase in den luftleeren Reaktor strömen. Der Wasserstoff ist 99,999-prozentig rein und wird zusätzlich gefiltert. Auch Bor - das fünfte Element im Periodensystem, Nummer sechs ist Kohlenstoff - hat Schreck vorrätig. "Der Diamant kriegt dann diesen herrlichen Blauton", sagt er.

Anfangs sei es immer wieder vorgekommen, dass es die Scheiben, auf denen die Diamanten wuchsen, in Stücke gerissen habe. Doch nun habe man den Prozess unter Kontrolle. Inzwischen läuft es so gut, dass Schreck und zwei jüngere Kollegen, ehemalige Doktoranden, ihr Know-how in ein Geschäft verwandeln wollen.

Sie haben das Unternehmen Augsburg Diamond Technology, kurz AuDiaTec, gegründet und sich ein paar Hundert Meter südlich des Uni-Campus in ein Technologiezentrum eingemietet. Dort laufen die Reaktoren rund um die Uhr, sie produzieren Diamanten in Scheibenform, aus denen sich eine Vielzahl kleiner Rechtecke herauslasern lassen. Diese ultraharten Plättchen verkaufen die Jungunternehmer an Kunden, die daraus Werkzeuge zum Schneiden, Fräsen oder Polieren herstellen, wichtig zum Beispiel für Uhren- oder Brillenhersteller.

Naturdiamanten: Perfektes Symbol für ein Heiratsversprechen

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Foto: Alamy / Mauritius Images

Wie viel Karat AuDiaTec schon produziert hat, will Schreck nicht verraten, nur so viel: Allein der 9,2-Zentimeter-Gigant wiegt 155 Karat, ein Karat entspricht 0,2 Gramm. Schon gar nichts lässt sich der Wissenschaftler darüber entlocken, wie das Verfahren, derart große Exponate herzustellen, im Detail funktioniert. Schreck ist vorsichtig, überall auf der Welt lauerten Konkurrenten, sagt er. "In dem Teich schwimmen auch große Haie."

Der größte ist De Beers, 1888 gegründet, eine Tochter des Rohstoffkonzerns Anglo American. De Beers kontrolliert rund ein Drittel des globalen Marktes, das Unternehmen betrachtet synthetische Steine als Bedrohung, denn ihre Qualität wird immer besser. Mit bloßem Auge oder einer Lupe lassen sich Unterschiede nicht mal mehr von Profis erkennen.

Der Diamantenriese aus Südafrika nimmt die Entwicklung so ernst, dass er mit "Element Six" ein Unternehmen aufgebaut hat, das selbst Labordiamanten züchtet. Das Unternehmen möchte damit nicht nur Geld verdienen, De Beers will vor allem Einblick in die Geheimnisse der Produktion von Labordiamanten gewinnen - und sich dieses Wissen zunutze machen, um ihre Ausbreitung zu bekämpfen.

De Beers baut dazu Hightechmaschinen, die künstliche Exemplare anhand der Lichtbrechung identifizieren. Verräterisch ist zum Beispiel, wenn sich ein Siliziumatom von der Reaktorscheibe in das Kohlenstoffgitter verirrt hat. So lässt sich zweifelsfrei feststellen, ob der Kristall natürlichen Ursprungs ist oder aus einem Reaktor stammt.

"Im Grunde spielen wir im Unternehmen 'Räuber und Gendarm'", beschreibt Jonathan Kendall, Chef eines De-Beers-Forschungsinstituts, das Vorgehen: Die Element-Six-Experten stellen stetig bessere Labordiamanten her und fordern damit die Kollegen bei De-Beers-Technology heraus, immer sensiblere Prüfgeräte zu entwickeln.

Sie sind bei namhaften Juwelieren im Einsatz, doch längst nicht alle Händler leisten sich die Apparate, von denen manche mehr als 40.000 Dollar kosten. Die Folge: Vor allem kleinere Steine werden selten zertifiziert. Und die Schwäche der Ölindustrie hat dazu geführt, dass viele synthetische Diamanten, mit denen die Bohrköpfe bestückt waren, zusätzlich auf den Markt gelangt sind.

Noch spielen die Laborsteine im Diamantengeschäft eine untergeordnete Rolle, sie machen gegenwärtig nur zwei Prozent des Weltmarkts aus, so eine Schätzung. Doch ihr Anteil wird laut Prognosen bis 2030 auf zehn Prozent steigen. Es spricht einiges für sie: Inzwischen kosten sie 20 bis 30 Prozent weniger als ihre natürlichen Pendants. Außerdem ist ihre Produktion vergleichsweise ressourcenschonend.

Rund 200 Tonnen Erde müssen bewegt werden, um auf natürlichem Wege gerade mal ein Karat zu gewinnen. Oft stammen die Diamanten zudem aus Konfliktregionen, in denen Menschenrechte verletzt werden. Der Kinofilm "Blood Diamond" von 2006 mit Leonardo DiCaprio hat vielen Konsumenten die Zusammenhänge überhaupt erst bewusst gemacht, auch DiCaprio: Der Schauspieler hat Geld in ein kalifornisches Start-up gesteckt, die Diamond Foundry, einen Produzenten künstlicher Diamanten. Der österreichische Schmuckhersteller Swarovski stellte dieses Jahr sogar eine eigene Kollektion von "Created Diamonds" vor.

Solche Offensiven drängen klassische Minenbetreiber wie De Beers in die Defensive. Ihr Geschäft, es geht um 80 Milliarden Dollar jährlich, läuft seit einiger Zeit eher mau. Vor zwei Jahren haben sich deshalb sieben Unternehmen aus der Rohstoffindustrie zusammengeschlossen und die Kampagne "Rare is real" gestartet: Nur das Seltene sei das Wahre.

Sie eint die Sorge, dass die Preise für künstliche Diamanten verfallen und der Markt zerstört wird. Deshalb tun sie alles, um den Mythos am Leben zu erhalten, den sie so mühsam geschaffen haben: die Vorstellung vom Diamanten als etwas Einzigartigem und Ewigem, als perfektem Symbol für ein Heiratsversprechen, dem jede Laborware unterlegen sei, mag sie noch so rein und hart sein, denn ihr fehle das Besondere, die Aura des Authentischen.

Am Ende entscheidet der Kunde, ob er diese Botschaft glauben mag oder nicht. Er bestimmt, was für ihn den Wert eines Diamanten ausmacht: das Wunder der Natur oder das Wunder der Technik.

Diesem Dilemma gehen der Augsburger Physiker Schreck und seine Kollegen aus dem Weg. Sie zielen mit ihrer Diamantenproduktion gar nicht erst auf das Schmuckgewerbe ab. Ihnen genügt es vorerst, die Industrie zu bedienen. Dort sorgen sie schon für genug Furore.

In China sei ihr 9,2-Zentimeter-Gigant sogar in den Fernsehnachrichten zu sehen gewesen, sagt der Uni-Forscher Schreck. Er fühlt sich bestätigt: "Dafür arbeitet man dann gern 25 Jahre lang."

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