• Kategorie: DB gratuliert
  • Aufrufe: 1461

50 Jahre ohne Konkurrenzkampf

Kann man in einer vergleichsweise kleinen Stadt 50 Jahre lang dem gleichen Gewerbe nachgehen, ohne miteinander zu konkurrieren? Lässt es sich fünf Jahrzehnte um dieselbe Kundschaft buhlen, ohne dem anderen einen zahlenden Kunden zu neiden? Ja, das geht. Diese Goldschmiede Klaus Wäldrich(78)/99734 Nordhausen und Hans-Jürgen Nüßle(79)/99734 Nordhausen verbindet mehr als nur der Goldene Meisterbrief. Klaus Wäldrich und Hans-Jürgen Nüßle sind nicht nur die Väter der einzigen verbliebenen Gold- und Silberschmiede in Nordhausen. Nein, sie sind auch Beleg dafür, dass eine friedliche Koexistenz im Einzelhandel zu einer Freundschaft werden kann.

Ein Grundstein dafür sind sicher die unzähligen Parallelen in den Biografien des 78-jährigen Wäldrichs und des ein Jahr älteren Nüßles. Letzterer lacht über all die Ähnlichkeiten in ihrer Lebenslinie. „Bis auf das Schuljahr haben wir fast alles gemeinsam.“ Und das beginnt bereits bei ihren Vätern und noch vor dem Zweiten Weltkrieg: Bei Juwelier Genzel in der Töpferstraße 1, da also, wo heute Nordhausens Kino steht, erlernen Heinrich Wäldrich und Hans Nüßle das Handwerk des Goldschmieds. Aus dem Krieg heimgekehrt, machen sich beide selbstständig.

Wieder nur mit einem Jahr Unterschied steigen in beide Geschäfte auch die Söhne Klaus und Hans-Jürgen ein. Selbst die Berufsschule teilen sich die beiden jungen Männer. „Damals wurden alle Goldschmiede der DDR in Arnstadt ausgebildet. Das war eine super Schule“, erinnern sie sich unisono an ihre ersten Schritte im Handwerk. Die Gesellenprüfung in Erfurt und die Verleihung der Meisterwürde in Dresden sollen folgen.

Aber womöglich sind es nicht all diese Gemeinsamkeiten, die die Männer zusammenschmieden, sondern die für Handwerker schweren Jahrzehnte der DDR. Nachdenklich wirken Wäldrich und Nüßle, sprechen sie über diese Zeit. „Wir hatten ja kaum Material, das gab es alles nur auf Zuteilung“, sagen sie. Zeigen junge Paare heute einfach nur noch auf Ringe im Katalog, so müssen Ehewillige damals selbst oft Erbschmuck mitbringen, der dann für die neuen Stücke eingeschmolzen wird. Da habe man sich oft gar gegenseitig ausgeholfen, erzählen Nüßle und Wäldrich.

Aus dieser Zeit rühren auch die witzigsten Anekdoten. „Ein Kunde hat einmal einen größeren Brillanten abgegeben, den wir in einen Ring einfassen sollten und der plötzlich in die Rille zwischen den Dielen fiel. Wir haben die ganze Bude auf den Kopf gestellt“, erinnert sich Nüßle, während Wäldrich wissend lächelt. Denn wie könnte es anders sein bei so vielen Parallelen: Auch er kennt dieses Gefühl. „Klar, ist mir so etwas auch schon passiert. Da hat man geschimpft, aber am Ende fand sich immer alles wieder.“

Eine weitere Parallele hilft Wäldrich und Nüßle, auch die Zeit der Materialknappheit zu überstehen: Beide werden noch zu DDR-Zeiten Mitglied der CDU. Warum? „Der Leiter der Örtlichen Versorgungswirtschaft war auch drin. Der hat für uns das mit dem Material und den Genehmigungen erleichtert“, lachen beide.

Allerdings sollen selbst die Jahre der Nachwende für die Branche keine einfachen werden, Nüßle und Wäldrich erinnern sich an versuchte Einbrüche in ihre Läden in der Barfüßerstraße Ecke Domstraße beziehungsweise im Altendorf. Und sie wissen um den wahren Konkurrenten, der sich mit dem Internet entwickelt hat. Andere namhafte Goldschmied-Familien wie Ott und Lendewig sind fort, bedauern Nüßle und Wäldrich, die mehr Glück hatten: Schon ab 1991 steigt Klaus Wäldrichs Sohn Steffen mit in das Geschäft ein. Hans-Jürgen Nüßles Sohn Alexander indes gründet 1997 ein eigenes Geschäft in der Bahnhofstraße, das mittlerweile in der Kranichstraße zu finden ist.

Ganz ohne Wehmut blicken aber auch die Väter nicht auf diese Entwicklung – eine vierte Generation beider Familien werde wohl nicht in ihre Fußstapfen treten. „Wenn unsere Söhne aufhören, sieht es schlecht aus um das Goldschmiede-Handwerk in der Stadt“, sagen sie.

Für ihre Zeit in der Branche haben Nüßle und Wäldrich jüngst den Goldenen Meisterbrief der Handwerkskammer erhalten. Eine Zeit wirklich ohne Konkurrenzgedanken? Nach einigem Nachfragen gestehen beide dann doch, dass jeder immer versucht habe, das schönere Schmuckstück herzustellen. „Das gehört halt zum Ehrgeiz eines Handwerkers dazu“, grinsen sie.